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Lutz Kreisel

Rede zur Eröffnung der Ausstellung Martin Hoffmann »Köpfe und Räume«
am 9. April 2011 in der Kunsthalle Kühlungsborn

Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Alle reden von Bilderflut. Ich auch. Dank der neuen Medien werden wir geradezu überschüttet. Es bleiben aber nur wenige Prozente der Bilder, nämlich die, die mit einer tiefen Emotion oder mit Schicksalen verbunden sind. Unser Speichervermögen hat sich nicht geändert, es wählt also aus. Gesehene Bilder können sich auch mit der Realität mischen.
 Hier entstehen Fragen. Fragen an das Bild, Fragen an den Betrachter, Fragen an den Bildermacher. Stellen Bilder Fragen?
 Sie können von heute an in dieser schönen Kunsthalle Zeichnungen und Collagen des Berliner Künstlers Martin Hoffmann sehen, Köpfe und Räume, von denen mich mehrere schon vor einiger Zeit anlässlich einer Ausstellung in der Foyer- Galerie des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin beeindruckt haben.

Herr Hoffmann hat mich nun gebeten, zur Eröffnung seiner Ausstellung hier in Kühlungsborn einleitend meine Eindrücke und Gedanken dazu vorzutragen.
 Da ich kein Kunstwissenschaftler bin, gestatten Sie mir bitte den Versuch, Ihnen meine Eindrücke von Hoffmanns Bildern aus der Sicht eines Theater-Menschen zu schildern und dabei Parallelen zur Theaterarbeit aufzuzeigen. Als Bühnenbildner bin ich dem kollektiven Ereignis Theater verpflichtet. Die bildende Kunst und das Zusammenwirken der verschiedenen Schwesterkünste sind dabei ein wesentlicher Kraftquell für mich.

Ich muß zugeben, beim ersten Blick auf einige Blätter mich zunächst etwas schwer getan zu haben. Musik aus Verdi-Opern berührt mich schneller.
 Die unendlich intensive Handwerklichkeit dominierte die Zeichnungen beim ersten Eindruck. Doch zugleich bemerkte ich einen konsequenten Formwillen, der mich zum Lesen der Zeichnungen und Collagen anregte.
 Aber welche Sprache haben sie? Und wie kriegt man das heraus ohne Spracherkennungsprogramm? Bei Martin Hoffmann lese ich: „Ich hoffe, dass der Betrachter ihm bekannte Zeichen als Startpunkte für seine Welt- Anschauung annehmen kann. Ich will nicht meine bildnerisch formulierte Sicht oder Interpretation von Zuständen zeigen … lieber wär`s mir, wenn Räume und Gegenstände selber zu sprechen beginnen.”

Um mich zu nähern, benutze ich mein Bühnenbildner-Einmaleins, nämlich: Das Werk wirken zu lassen und dann: Wie heißt denn die vom Künstler gewählte Überschrift. Wann ist das Werk entstanden, welche Zeit und welche Situation zeigt es, und was bedeutet das für meinen heutigen Blick? Welche formalen Mittel bilden den Ausdruck, die Komposition und die Dramaturgie des Werkes und schließlich: Was inter­essiert mich am Ganzen, und wie gehe ich damit um?
 Wir erleben hier zwei sehr unterschiedliche Gestaltungswege. Die scheinbar bis ins letzte Detail ausgeführten Zeichnungen kontrastieren mit den aus durchscheinendem Papier geklebten Collagen.
 Die Zeichnungen besitzen Titel, die Collagen nicht. Beiden gemein aber ist bei längerem Hinsehen , dass sich gleichsam Welten zu öffnen scheinen, die bei den Zeichnungen Räume zeigen, in denen sich Geschichten abspielen oder – können. Es sind also szenische Räume, Bühnen für das Spiel der Gedankenwelt im Kopf des Betrachters.
 Bei den Collagen wachsen aus den geklebten Flächen Körper, die bei intensivem Hinsehen lebendiger und auch immer individueller werden. Ihre scheinbare Porträthaftigkeit lädt uns ein, in ihnen Lebensgeschichten zu entdecken, die lediglich durch unsere Assoziationen entstehen, als stünden sie in ihrer ganzen Blöße vor uns.
 Das alles geschieht in der Theaterarbeit sehr ähnlich. Ich ahne aber, wie einsam es manchmal in einem Künstleratelier sein muß, wo kollektives Erarbeiten eines Themas eher selten ist.

Licht spielt in allen Arbeiten eine große Rolle. Die Begriffe Reflexe und Schatten stehen hier für Spiegelungen von Gedanken und Situationen. Licht auf Gegenständen und Körpern erzeugt Schatten, die auf unser Dasein zielen. Dazu sagt Martin Hoffmann: „Der Schatten, den ich werfe, ist die erste zweidimensionale Abbildung von mir, allein durch das Licht, ohne jemandes Zutun … Ein Schatten ist figürlich, aber ohne Physiognomie, eine Art gestischer Anwesenheit.”
 Menschen sind auf den Zeichnungen nicht zu sehen. So sieht sich der Betrachter mit den abgebildeten Dingen ganz direkt konfrontiert. Sie vermitteln Angst, Einsamkeit und Depression. Können sie auch Optimismus und Lebensfreude vermitteln?
 Jedenfalls faszinieren diese Bilder und bewirken Nachdenklichkeit und Kommunikation mit Fragen unseres Lebens.

Nun zu einem weiteren Spannungsfeld, das mir diese Ausstellung ganz wunderbar vor Augen führt: Es ist das für Kunst so unendliche Wechselspiel von Zufall und gesuchter Form, zwischen dem kalkulierten Gedanken und der gestaltenden Intuition. Martin Hoffmanns ausgestellte Collagen und Zeichnungen vermitteln uns das in dialektischer Weise mit dem modellierenden Strich einerseits und dem gerissenen Papier andererseits. Der Zusammenhang von Suchen und Finden gehört auch zu diesem Thema.
 An dieser Stelle ein schönes Beispiel aus der Welt des Theaters: Anfang der achtziger Jahre inszenierte der damalige Kölner Schauspieldirektor H. G. Heyme Hebbels Maria Magdalena. In einer Fernsehdiskussion um diese Aufführung ereiferte sich der legendäre Theaterkritiker Friedrich Luft: „Ich werde immer ganz sauer, wenn der Vorhang aufgeht und das Bühnenbild erklärt schon das ganze Stück.” Darauf Heyme: „Eigentlich wollten wir in diesem Bühnenbild Die Nibelungen spielen, haben diese Inszenierungsarbeit aber abgebrochen und das bereits fertige Bühnenbild für Maria Magdalena benutzt.“
 In Martin Hoffmanns Werk findet sich eine interessante Parallele: Aus der Zeichnung Runder Tisch von 1983 wurde im Oktober 1989 das Plakat Forum. Er hat mir allerdings erklärt, dass es sich hier um eine absolute Ausnahme in seinem Schaffen handele. Auf Symbolik ziele er überhaupt nicht. Man darf also hier nicht auf eine falsche Spur kommen.

Für den Grafiker Hoffmann gilt der Picasso- Satz „Ich suche nicht, ich finde.” ganz bestimmt nicht. Der Mathematiker Hoffmann geht vielmehr kalkulierend vor. Aber dabei findet er eben auch.
 In einem Begleittext zu seinen Collagen bemerkt er: „Als Material verwende ich dunklen Karton, durchscheinendes Papier und Klebestifte. Schicht um Schicht klebe ich gerissene Papierfetzen übereinander oder schäle Partien wieder ab. Es gibt keine Vorzeichnung. Das Antlitz der Gäste, die auf den Collagen zu mir kommen, kenne ich vorher nicht. Mit den ersten Papierstücken entsteht eine Bewegung auf dem Dunklen. Mit ihr trete ich ins Gespräch, möchte ein Gegenüber kenntlich werden lassen.
Später gilt es, die gewordene Form nicht festzulegen, den Prozess des Annäherns nicht zu beenden.“
 Und zu den Arbeitsvorgängen sagt er weiter: „Das Reissen des Papieres assoziiert das Nichtheile, das Durchscheinen bringt die herbeigesehnte Viel-schichtigkeit ins »Bild« und das Kleben ist an sich ein Zusammenfügen und Verweben.“
 Das Frontale in dieser Darstellungsweise zielt auf Fragen an den Betrachter. Das ist gleichzeitig so etwas wie eine Grundfunktionalität für seine Gestaltung. Indem er den Betrachter mit Bedrängendem, Bedrückendem und Öffentlichen attackiert, hofft er, dass sich bei diesem Klärungsprozesse auslösen.

Abschließend noch ein allgemeiner Vergleich. Im Verhältnis zu unserem Publikum vermute ich größere Unterschiede zwischen der Arbeit des Bildenden Künstlers und der des Theaters. Ohne Publikum findet Theater nicht statt, es fehlt der kreative Funke des Zusammenseins, des Ereignisses. Ein Bild, eine Zeichnung, eine Collage muß das alles in sich haben. Der Künstler verabschiedet sich davon, wenn er es als vollendet sieht und muß dann hoffen, dass es auf unterschiedlichen Wegen öffentlich wird und zu wirken beginnt, den Betrachter zu Fragen anzuregen.
 Ich bin überzeugt, dass diese schöne Ausstellung dazu beiträgt.
 Im Buch zu Martin Hoffmanns Rheinsberger Ausstellung von 1996 fand ich noch zwei Sätze Christa Wolfs über ihn: „Er stelle Fragen an die Realität, sagte er einmal. Er wolle dazu anstiften, sich damit auseinanderzusetzen.“

Meine Damen, meine Herren, jetzt sind Sie gefragt, indem Sie sich die Ausstellung ansehen!
Sie können dann den Künstler selbst befragen, denn er ist ja heute unter uns.

 

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